Seit 1993 ist das Gut Gasteil Hauptsitz ihres künstlerischen und kulturellen Schaffens. Neben ihrer Arbeit als Austellungsveranstalter und- kuratoren in der Galerie Gut Gasteil sowie bei der zweijährlich stattfindenden "Kunst in der Landschaft", liegt der Schwerpunkt auf der künstlerischen, bildhauerischen Arbeit.
Hartgebrannte, glasierte Keramik und Edelstahl sind die bevorzugten Materialien für die Plastiken, Skulpturen, Reliefs und Bilder seit 1972 mit einem gemeinsamen Signum. Johannes malt seit 1999 wieder - vorwiegend Öl auf Holz. Daneben sind die Seidls auch Biobauern und betreiben das Biobuffet als Service für die Galeriebesucher.
Die Erde, der Himmel und das Feuer
Anmerkungen zu einem künstlerischen Lebensprojekt
von Johannes & Charlotte Seidl
Kontingenz und Konsequenz sind die ersten Begriffe, die mir in den Sinn kommen, wenn ich die vielfältigen Unternehmungen von Charlotte und Johannes Seidl, die ich im Zuge einer nunmehr zwei Jahrzehnte währenden Freundschaft mitverfolgen durfte, auf den kürzest rnöglichen Nenner bringen will. In ihrer steifen Strenge wirken die beiden Stichworte vielleicht wenig geeignet, die überordende Lebenslust und ansteckende Sinnenfreude zu beschreiben, die das Künstlerpaar ausstrahlt und die wohl auch jene über die Jahre hinweg nie versiegende Quelle bildet, welcher die Kraft zur Erfindung und Verwirklichung zahlloser Projekte entspringt, von denen so manches heimische Kulturgeschichte schrieb. Doch wie so oft trügt der erste Augenschein. Hinter leichtfüßigem Intellekt, zielsicherem Witz sowie feinsinnigem Charme - offenbart sich bei beiden Künstlern ein beharrliches Streben nach Durchsetzung ihrer oft unzeitgemäß wirkenden Ideen, dem die unerschütterliche Überzeugung zu Seite steht, daß Engagement nach wie vor und gegen alle Widerstände unserer gesättigten Gesellschaft notwendig ist, Und so treiben sie, unbeeindruckt von künstlerischen und ideologischen Moden, seit 1968 ein Lebensprojekt voran, das erfolgreich die Integration von künstlerischen, kulturpolitischen und öko!ogischen Aktivitäten in ein produktives Alltagsleben betreibt.
Wie sich zeigt, gibt Ihnen der sprichwörtliche Erfolg recht. Die seit 1989 betriebene Galerie Gut Gasteil floriert und zieht mit einem wesentlich am persönlichen Geschmack des Künstlerpaares orientierten Ausstell-ungsprogramm eine jährlich wachsende Zahl von Besuchern an, die abwechslungsreichen Präsentationen rücken schillernde Stars, solide Geheimtips und noch unbeschriebene Newcomer ungeniert in ein unvermittelbares Nebeneinander, das für alle Beteiligten als verläßlicher Prüfstand fungiert. Das bunt gewürfelte, vielseitig interessierte Galeriepublikum, das sich strukturell durch eine große soziale Durchrnischung deutlich von jeder städtischen Szene unterscheidet, erwies sich bislang als guter Indikator für die Qualität und Attraktivität des Gezeigten. Die ausstellenden Künstler wiederum schätzen den unkonventionellen Präsentationsrahmen wie dessen Betreiber, die mit Eigensinn an ihrem Konzept eines in jeder Hinsicht offenen Kunstraums festhalten und in diesem ihre Kolleglnnen nicht nur gerne und gut verkaufen, sondern überdies noch ausgesprochen aufmerksam betreuen.
Da die räumliche Begrenztheit der Galerie allerdings den unbändigen Tatendurst und vor allem Johannes Seidls Baubegeisterung nur kurzfristig in Zaum zu halten vermochte, wurde unmittelbar nach der Übernahme des Gutshofes Gasteil und der Aufnahme der organisch-biologischen Bewirtschaftung des zugehörigen, 18 Hektar großen Grundstücks, die Renovierung eines ehemals als Scheune genutzten Traktes zu einem weitläufigen Wohn- und Atelierhaus in Angriff genommen. Womit der in Keramik, Skulptur und Architektur gleichermaßen versierte Allrounder im ersten gemeinsamen Domizil, einem modernen Einfamilienhaus mit vorgelagertem Studio in Maria Schutz, im kleineren Maßstab experimentierte, führte er mit der Planung dieses Umbaus zur Vollendung. Mit enormem Raumgefühl und einer bewußt puristischen Haltung im Umgang mit Materialien verwandelte er den massiven Steinbau in ein lichtdurchflutetes Megatoft. Gewohnt, gelebt und gearbeitet wird heute in einem einzigen, bis unters Dach offenen Raum, der durch sparsame Holzkonstruktionen in drei Ebenen gegliedert ist. Die absolute Krönung allerdings bildet das riesige, südseitig vorgelagerte Glashaus, das im buchstäblichen Sinn zum Anbau von Gemüse genutzt wird, zudem über ein mit subtropischen Pflanzen möbliertes Gartenzirnmer verfügt und darüberhinaus noch mit einem Swimminggpool aufwartet, der rund ums Jahr zu einem Bad mit Blick auf die von zahllosen Schafen bevölkerten Weiden einlädt.
Die blökenden Vierbeiner nehmen meines Erachtens ja die heimlichen Herrschaft über Land und Leute für sich in Anspruch. Sie halten vor allem Charlotte Seidl auf Trab, die sich zwischen künstlerischem Schaffen und Organisationsarbeit so zwischendurch um das leibliche Wohl des Tiervolks kümmert. Dieses will sehr zeitaufwendig und vor allem jeden Tag zur Welt gebracht, gehegt, geschoren und gepflegt werden, ehe es in Form von gar köstlichem Lammfleisch in des Hausherrn Schlachtraum seiner Bestirnmung zugeführt wird. Für überzeugte Tierschützer und eingefleischte Vegetarier ist die kleine Ausschank, die während das Galeriebetriebes in einem gemütlich eingerichteten Hoftrakt köstliche Erfrischungen anbietet, trotzdem die richtige Adresse. Denn wer selbst mit derart großer Liebe und Umsicht verarbeitetes Fleisch. und die wunderbaren, von kundiger Hand gefertigten Wurstwaren nicht zu schätzen vermag findet in der reichen Auswahl an exzellenten Käsen, die befreundete Biobauern hier anbieten, sicherlich das Produkt, das ihn zum seidlsüchtigen Konsumenten macht, (ich wüßte da noch eine Geschichte von diversen hochgeistigen Wässerchen und diesen speziellen getrockneten Schafswürsten zu erzählen, die nach den Besuchen gewisser Freunde immer restlos ausverkauft sind, aber davon vielleicht besser ein anderes Mal).
Zum Ernst der Sache- Zumindest alle zwei Jahre, so auch im kommenden Sommer, kehren die Besucher wieder scharenweise in Gut Gasteil ein. Dann nämlich verwandelt sich die idyllische Voralpenlandschaft in ein riesiges Open-Air-Museum und offeriert mit der nun bereits zum vierten Mal veranstalteten "Kunst in der Landschaft" Kunst und Naturerlebnis in einem. Rund dreißig, von Charlotte und Johannes Seidl geladene KünstlerInnen aus allen Ecken dieser Welt präsentieren dabei für den Ort geschaffene Skulpturen, Objekte und Environments, die sich dezidiert mit der archaiischen Gewalt dieser Landschaft auseinandersetzen, im Gegensatz zu anderen Freiluftausstellungen und Land-Art Projekten rnüssen sich die teilnehmenden Künstler in Gasteil verpflichten, bei der Erstellung ihrer Ertwürfe auf deren Urnweltverträglichkeit zu achten und bei der Wahl und Verarbeitung der benötigten Materialien sowohl die Einflüsse, welche sie auf das natürliche Umfeld nehmen, als auch jene zu bedenken, welchen sie im Wechselspiel der Jahreszeiten ausgesetzt sind. Dieses Konzept eines behutsamen Dialogs von Kunst und Natur, der allerdings nicht als museale Konservierungsbestrebung der seit Jahrhunderten durch Menschenhand geformten Landschaft interpretiert werden will, macht die Veranstaltung zu einem nicht nur für Österreich einzigartigem Unternehmen. Die bereits realisierten Ausstellungen verdeutlichen darüberhinaus, daß ein verantwortungsvoller Umgang mit unserem natürlichen Lebensraurn keinen Widerspruch zum künstlerischen Gestaltungsanspruch und zur ästhetischen Intervention darstellen muß.
Das darin zum Ausdruck kommende Vertrauen in die Kontinuität der Wirklichkeit, das permanente Wechselspiel natürlicher Kräfte und menschlichen Formwillens, scheint auch die künstlerischen Arbeiten des Paares zu durchdringen. Ihre seit 1971 mit einem gemeinsamen Signum versehenen Skulpturen und Objekte aus Ton, denen sich in den letzten Jahren verstärkt wieder individuelle Setzungen beigesellen, an welchen die über aller Gemeinsamkeit existierenden Differenzen in der künstlerischen Handschrift wahrnehmbar werden, bestechen durch markante Tektonik und nahezu architektonische Struktur. In der machtvollen Präsenz von "Toren" und "Wächtern", "Schiffen" und "Frauen", kehrt eine auf die symbolische Form reduzierte Motivik wieder, die eine respektvolle Verbundenheit mit der Erde, dem de facto verwendeten künstlerischen Material, und den Drang zur Zeichensetzung repräsentiert. Das sich Charlotte und Johannes Seidl dabei auf den Kanon mystischer Einfühlung und die Praxis des magischen Rituals ebenso bewußt beziehen, wie sie sich traditioneller bildsprachlicher Mittel bedienen, die sie gezielt weiterentwickeln und variieren, verleiht ihren Arbeiten, deren Serantik unser Unbewußtes spontan anrührt, eine zeitlose Gültigkeit. Unter diesem Aspekt betrachtet wirken die monumentalen Skulpturen wie Kristallisationspunkte, an welchen sich die in unserer Geschichte seit langem verdrängte Evidenz der Notwendigkeit von Gegensätzen, der Unterscheidung von Prinzipien vor allem aber deren wechselseitiger Bedingtheit zum magischen Bild eines utopischen Gleichklangs der Kräfte verdichtet.
Fasziniert von der Dichte ihrer Bildwelten und dem Spannungsreichtum des gesamten Lebensprojekts, in dem, wie ich vernehmen konnte schon wieder an neuen Plänen gefeilt wird, bleibt mir eigentlich nur das Bedürfnis meiner ungebrochenen Begeisterung und natürlich meiner unstillbaren Neugier auf die zuküftigen Entwicklungen Ausdruck zu verleihen, die sicher wieder für Überraschungen sorgen werden..
Dr. Edith Almhofer, Autorin, Kunstwissenschaftlerin, Verlegerin, Gumpoldskirchen, 1997